Welche Rolle spielt der stationäre Handel in der Zukunft?
Im digitalen Wandel scheint der Fachhändler zum Zuschauer einer neuen Entwicklung geworden zu sein, die ihn künftig abzuschaffen droht. Welchen Platz wird er einnehmen? Woran soll er sich orientieren? Schlicht: Braucht es den stationären Händler noch? Die Antwort: Lieferanten, die diese Frage mit „Ja“ beantworten, könnten echte Partner für die Zukunft sein.
Wohl kaum ein Thema polarisiert so sehr. Welche Rolle spielt der stationäre Händler in Zukunft? Version 1: Die einen trauen dem stationären Geschäft nicht viel zu. Der Konsument präge den Markt und definiere das Angebot – und das soll schnell verfügbar, unproblematisch zu beschaffen und möglichst billig sein. Somit wäre der stationäre Händler draußen, und Amazon & Co. würden das Geschäft machen. Version 2: Die anderen argumentieren mit dem emotionalen und individuellen Produkt, beziehungsweise mit der Service-Leistung des stationären Händlers für Schmuck und Uhren.
Gut ist, was professionalisiert
Fest steht: Am cleversten für den Händler wird es sein, die Version 1 erst gar nicht anzunehmen und mit Amazon & Co. in den Ring zu steigen. Wer sein Sortiment und seine Service- und Beratungs-Leistungen möglichst weit abgrenzt vom Online-Angebot, dem kann der reine Mitbewerb auf Produktseite egal sein. Siehe Trauringe. Seit einem Jahrzehnt wird schon behauptet, das Angebot würde ins Netz wandern, auch durch Online-Konfiguratoren. Die Realität sieht anders aus. Möglicherweise mag der Anteil der online gekauften Ringe im Preisbereich von unter 300 Euro pro Paar gestiegen sein. Beim normalen Angebot hat sich trotz Online-Anbieter wie 123gold & Co. nichts geändert. Mehr noch: Die Professionalisierung im stationären Handel hat sich seit (und dank) 123Gold so sehr erhöht, dass auch die Durchschnittspreise und die Bedeutung von Trauringen gestiegen und sogar Begleitsortimente wie Verlobungsringe und Brautschmuck hinzugekommen sind. Das Angebot ist für den Konsument attraktiver geworden – und er bedankt sich mit höheren Investitionssummen.
Ziel: Partnerschaft auf Augenhöhe
Eine ähnliche Entwicklung könnte es auch beim Schmuck geben. Denn Schmuck ist und bleibt emotional und individuell. Voraussetzung hierfür ist ein Schulterschluss zwischen Händler und Lieferant, der individuell an jedem einzelnen P.O.S. für die jeweiligen Zielgruppen realisiert wird. Der erste wichtige Punkt ist eine möglichst ähnliche Erwartungshaltung beider Partner. Hat der Lieferant ein riesiges Altlager, das er erstmal online loswerden will, wird der Händler vorerst nichts mit der Marke anfangen können. Hat der Lieferant mit eigenen Geschäften und der eigenen Organisation einen riesigen Wasserkopf, den er mithilfe des Juweliers querfinanzieren will, wird eine Partnerschaft auf Augenhöhe ebenfalls nichts. Investiert der Händler nicht oder nicht regelmäßig, ist er kein Partner. Ist er gar einer der schwarzen Schafe, die den Online-Preisroboter füttern, wird es ebenfalls nichts. Klar ist, Corona und Lockdown haben dafür gesorgt, dass sich beide Seiten besser kennen gelernt haben. Die unglaubliche Loyalität des Händlers zu seinen wenigen Lieblings-Lieferanten, die er bei der „Lieferantenwahl“ mit Auszeichnungen bedacht hat, gibt erste Anzeichen. Die großen „Business-Macher“ spielen hier kaum eine Rolle. Stattdessen familiengeführte, kleinere und flexible Lieferanten, die sich auf die Zusammenarbeit mit dem Juwelier konzentriert haben – und nicht so sehr auf das eigene Altlager, den eigenen Webshop etc.
Lockdown als Partner-Check
Ein erster Gradmesser für die Einstellung zum stationären Handel hat die Lockdown-Zeit gegeben. Zahlreiche Lieferanten haben die Zeit genutzt, das Angebot für den Juwelier zu verbessern. Sei es, wie bei Nordahl Andersen, ein neuer B2B-Webshop und mehr Mitarbeiter im Vertriebsteam. Sei es, wie bei Bernd Wolf, die erstmalige Teilnahme an der B2B-Messe Inova Collection, um den Draht zum Handel zu intensivieren. Sei es, wie bei Engelkemper Münster, die Verstärkung aller Werbemaßnahmen, damit der Händler sämtliche Tools für Werbung, Print, Schaufenster, Social Media etc zur Hand hat, um vom Konsumenten wahrgenommen und gefunden zu werden. Wer all diese Leistungen erbringt, der hat ein echtes Interesse an einer künftigen Zusammenarbeit mit dem stationären Handel.
Exklusiv für Juweliere?
Klare Worte und positive Aussichten für den stationären Händler kommen von Hermann Bender, Geschäftsführer des Schmuck-Großhändlers Max Fröhlich: „Richtig ist, dass der Online-Handel wächst. In unserer Branche aber unterdurchschnittlich. Im Übrigen ist der Markt nicht erst jetzt in einer Umwälzung, sondern permanent. Viele unserer Kunden haben sich in den vergangenen 30 Jahren immer wieder neu auf die Anforderungen eingestellt und waren sehr flexibel. Ich bin sehr optimistisch – nein sicher: Der größte Teil unsere Kunden wird nach Corona besser aufgestellt sein als vorher. Der Endverbraucher ist hungrig nach persönlichen Kontakten. Das Online-Shopping wird sich daher relativieren – gerade, wenn es um ein emotionales Produkt wie Schmuck geht.“
Manchmal profitiert Lieferant vom Händler
Einen Schritt weiter geht Engelsrufer und zeigt, dass manchmal der Lieferant vom Händler profitiert. Die Wiederaufnahme der Geschäftsbeziehung mit Juwelier Christ ist von Seiten Engelsrufer klar definiert, wie Harald Baumann, Head of Sales von Engelsrufer, im Interview sagt: „Christ ist ein Big Player in der Branche, mit einem breiten Filialnetz und sehr gutem Angebot im Multichannel-Bereich. Dadurch erreichen wir unsere Zielgruppe noch besser.“ Den einzigen Grund, warum Engelsrufer auch nach 11 Jahren am Markt noch so stark ist, dass Christ wieder eingestiegen ist, sei die Tatsache, dass „wir seit Bestehen ein kundennahes, bodenständiges, inhabergeführtes Unternehmen sind, das mit seinen Kunden einen partnerschaftlichen Umgang pflegt“, so Baumann. Und weiter: „Wir streben ein WIN-WIN an. Nur wenn wir dies erreichen, haben wir einen zufriedenen Kunden, der keinen Grund hat, sich von dem Produkt Engelsrufer abzuwenden.“
Keine Kommentare