MP3-Player und iPod ließen Sony einst alt aussehen. Heute ist es der Uhrenfachhandel, der Gefahr läuft, den Trend „Smartwatch“ zu verschlafen.
Beim Start der Apple Watch im April 2015 war zunächst unklar, ob das Konzept ein Erfolg wird. Bei fast 34 Millionen verkauften Exemplaren im Jahr 2020 stellt sich diese Frage wohl nicht mehr. Doch auch Garmin sollte man nicht unterschätzen. Und dieser Anbieter schätzt den Juwelier als Partner.
Das Unternehmen Sony war einst der absoluten Überzeugung, musikaffine Menschen würden sich auf immer und ewig unterwegs mit seinem Walk- oder Discman beschallen lassen. Sony irrte. „1.000 Songs in deiner Tasche“ claimte da der „Apfel“ aus Silicon Valley für seinen iPod plötzlich. Und alles war anders. Auch die legendäre Arroganz des damaligen Handy-Marktleaders Nokia legte sich rasch, als Apple-Mastermind Steve Jobs mit dem iPhone auf einmal Revolutionäres auf den Ladentisch hob. Aus der Geschichte soll man lernen, heißt es.
Sony und Nokia sind abschreckende Beispiele, aus denen man tatsächlich seine Lehren ziehen sollte. Überhaupt ist Hinsehen meist besser als Wegsehen. Und wer augenblicklich genauer hinsieht, wird registrieren, dass sich der Markt für Smartwatches in den vergangenen Jahren vervierfacht hat. Nicht verdoppelt, nicht verdreifacht – nein, vervierfacht.
Der „Branchenradar“ der Elektrik- und Elektronikbranche glaubt sogar, noch mehr zu wissen – dessen durchaus plausible Prognose: Die Smartwatch-Verkäufe werden sich von 2021 auf 2022 verdoppeln. Und obendrein würden deren User künftig alle zwei Jahre eine Neuanschaffung planen. Nach dem plötzlichen Boom des iPhones, dessen erste Version von Steve Jobs im Jahr 2007 am Markt wie der Blitz einschlug, stellt diese jüngste, aber auch künftige Entwicklung der Smartwatch eine neuerliche Zäsur dar.
Auch interessant: Smartphone-User – und das ist eine weitere Analogie zum iPhone – die in Zukunft auf große Updates und Reparaturen verzichten und sich alle zwei Jahre nach einem neuen smarten Teil für das Handgelenk umsehen. Was sich daraus ableiten lässt? Ein Fachhandel, der meint, dass eine Smartwatch keine echte Uhr sei, ignoriert, dass bereits ein nicht gerade kleiner Teil der Deutschen auf eine solche zurückgreift und damit – und jetzt kommt’s – auch die Zeit abliest.
Smartwatches, die heute mitunter nur vorübergehend genutzt werden, werden darüber hinaus schon bald gar nicht mehr abgenommen werden. Zumindest geht das Verhalten der User deutlich in diese Richtung. Es ist also ein Irrglaube der Branche, davon auszugehen, dass der Smartwatch-Träger auch in Zukunft – etwa bei bestimmten Anlässen – noch mitunter auf die mechanische Uhr zurückgreifen wird. Nach dem Smartphone, in das ein großer Teil der Verbraucher alle zwei Jahre um die 1.000 Euro investiert, halten es viele Konsumenten inzwischen für opportun, in derselben Häufigkeit mindestens 429 Euro für das Basic-Modell der neuesten Apple Watch auszugeben.
Eine Entwicklung, die der Uhrenmarkt mindestens zur Kenntnis nehmen muss. Ein großer Teil der Masse ist inzwischen einfach smart geworden und verzichtet auf alternative Zeitmesser. Darüber finden diese User sehr wohl, dass eine Smartwatch auch eine Uhr ist.
Eine Antwort heißt Garmin
Rund 1,1 Milliarden Euro gaben die deutschen Konsumenten im Vorjahr für klassische Uhren aus, wobei deren Wünsche von der einfachen Kinderuhr bis hin zum Luxus-Chronographen oszillierten. Fast exakt so viel ließen sie sich aber auch sogenannte Wearables kosten, also Fitnesstracker, Sportuhren und Smartwatches. Die Pandemie, in der sich für uns jede Menge Zeitfenster für Bewegung auftaten, war hier natürlich ein Treiber, ließ die Menschen aber auch so richtig Blut lecken. Auf der Wunschliste vieler natürlich: die Apple Watch, die smarte Uhr des plötzlich größten Uhrenherstellers der Welt.
Das seitens des Fachhandels häufig bemühte Argument, auf diese habe man ja keinen Zugriff, da sie nur im Apple-Shop angeboten werde, ist zwar kein falsches, zeugt aber von einer gewissen Resignation. Weil es in der Regel zukunftsweisende Optionen außer Acht lässt. Denn Brands wie Garmin oder Withings liefern dem Fachhandel buchstäblich eine formidable Antwort auf den Riesen aus Cupertino, Kalifornien.
Garmin beispielsweise, inzwischen fünftgrößter Uhrenhersteller der Welt, offeriert eine eigene Smartwatch-Kollektion, die ausschließlich dem Uhrenfachhandel vorbehalten ist, das eigene Sortiment bereichert sowie Neukunden lockt und obendrein Preisstabilität gewährleistet. Der Fachhandel darf sich im Grunde aber gleich doppelt glücklich schätzen: Noch immer wollen zahlreiche Verbraucher direkt bei ihm in das Abenteuer Smartwatch eintauchen. Weil er sich schlichtweg nach Beratung und Expertise sehnt und sein Wearable erklärt bekommen will.
Heißt: Wenn der Verbraucher mit Auftrag droht, muss der Fachhändler informieren können. Mit Interesse und Offenheit sowie der Hilfe von Fachmagazinen, Händlern und Schulungen im Vorfeld ist das notwendige Expertentum rasch erlangt. Welche weiteren Türen sich hier auftun können, zeigt einmal mehr Apple.
Lukrativer Zusatzverdienst
Im Laden des „Zusatzverkauf-Weltmeisters“ Apple wird dem Konsumenten nämlich scheinbar en passant demonstriert, dass die Apple Watch sogar das Zeug zum Chamäleon hat, wenn man nur auf ein zweites oder gar drittes Band setzt. Dass Uhrenbänder im distinguierten „Apfelladen“ bis zu 100 Euro kosten und natürlich mit exzentrischen Namen versehen werden, macht sie für Kunden rasch zum Must-have (dasselbe gilt übrigens für Kopfhörer). Und es lässt die gelebte Zurückhaltung in den täglich unterlassenen Bemühungen des Fachhandels beim Zusatzverkauf alt aussehen.
Einem renommierten Branchenmedium zufolge, greift jeder zweite Smartwatch-Käufer längst auch zu einem Ersatzarmband. Essenziell für Fachhändler, die sich der smarten Zukunft stellen sollten, ist aber auch die Verfügbarkeit. Ohne die geht es einfach nicht. Welche Relevanz smarte Uhren für die Branche inzwischen haben, belegen sogar bereits einige Luxusmarken. Nicht wenige der vermeintlichen Puristen wollten und konnten sich diesem unglaublich spannenden Segment nicht mehr verschließen.
Smarte Perspektiven
Aber welche Möglichkeiten hat der Fachhandel nun in Sachen Smartwatches? Eine ist natürlich, diesen Trend völlig außen vor zu lassen und auch weiterhin nur auf klassische Uhren zu setzen – insbesondere mechanische. Spielt die Stammklientel mit und wird es mit veritablem Spezialistentum verknüpft, kann dies durchaus Erfolg zeitigen. Etwa, wenn man sich – vor dem Hintergrund der Quarz-Ablöse durch Smart Watches – völlig auf mechanische Uhren verständigt.
Obacht, auch hier braucht es aber eine gewisse Ausführlichkeit der Themen, gleichsam einen Mehrwert für den Kunden, der den Fachhändler für ihn einzigartig macht. Wer etwa die Einzeigeruhr „MeisterSinger“, die ob ihrer Exzentrik auch definitiv erklärungsbedürftig ist, in sein Sortiment hebt, bekommt damit auch eine echte Gelegenheit. Nämlich die Gelegenheit, sich mit Expertise für eine Ausnahmeerscheinung auf dem Uhrenmarkt in Szene zu setzen. Ein Leitsatz á la „Bei mir gibt es alles, nur nichts Smartes“, kann aber auch aufgehen, wenn man sein Portfolio mit Abenteuer und Emotion zu füllen weiß oder sich primär auf dem Terrain von Luxusmarken wie Rolex, Breitling oder TAG Heuer bewegt.
Der Uhren-Bauchladen, der alles und nichts kann, hingegen ist ein Anachronismus und wenig zukunftsfähig.
Luxus oder Smartness
Eine weitere Option bietet die Erweiterung des Luxussegments, indem Fachhändler auf Uhren von etwa TAG Heuer oder Montblanc mit smarter Technologie setzen. Mit diesem Spagat lassen sich Kunden abholen, die mitunter auch bereit sind, für eine smarte Erscheinung ihre Geldbörse um 2.000 Euro zu erleichtern . Die Nachfrage gibt es prinzipiell. Jedoch müssen Uhrenfachhändler sich für diese Marken qualifizieren, mit entsprechenden Auflagen und Vorgaben rechnen sowie stets ein entsprechendes Sortiment auf Lager haben.
Am Puls der Zeit bleibt, wer auf smarte Marken setzt, die dem Fachhändler mit einer eigenen Fachhandelskollektion nicht nur Innovation im Sortiment implementieren, sondern auch eine vernünftige Kalkulation bescheren – zu nennen wäre an dieser Stelle etwa jene von Garmin oder die „Scanwatch Horizon“ von Withings. Die Festina Group hat ebenso be- reits smarte Technologie in ihr Programm genommen und kluge Uhren, die zahlreiche Wearable-Funktionen vereinen, auf den Markt gebracht. Fachhändler, die einen für sie neuen Weg beschreiten möchten, müssen aber auch profund beraten können – eine absolute Voraussetzung.
Ramschladen? No, thanks!
Wer hingegen plant, allein günstige Smartwatches ins Portfolio zu heben, muss sich bewusst sein, dass er an einem Preiskrieg mit Anbietern wie großen Elektronik- und Sportketten, Mobilfunk-Läden und natürlich Online-Shops partizipiert und dabei auch Gefahr läuft, allmählich zum Ramschladen zu verkommen. Und die klassische Uhr?
Die hat das Zeug zum Kultobjekt und kann, wie das gute alte Fahrrad etwa, eine Renaissance erleben.
Keine Kommentare