Schweizer Uhren unter Druck

Sinkende Nachfrage, volle Lager und einbrechende Umsätze: Die Schweizer Uhrenbranche hat mit der größten Krise seit Jahrzehnten zu kämpfen. Ein Statusbericht.

„Unsere Leben zählen mehr als euer Profit!“ hallte es Ende November durch die Gassen von Le Sentier und Genf. Dort hatten sich damals hunderte Demonstranten versammelt, um gegen den geplanten Stellenabbau bei Richemont zu protestieren. Die Solidaritätskundgebung ist nur ein Beleg dafür, wie sehr die Krise die Schweizer Uhrenindustrie mittlerweile erschüttert hat. Die Wiege der Uhrmacherkunst schaukelt gewaltig und das nicht erst seit Richemont Ende November bekanntgab, 211 Stellen in der Romandie (davon 91 bei Piaget und 120 bei Vacheron Constantin) zu streichen. Kriselt es bei Richemont, einem der größten Uhren- und Luxuskonzerne der Welt, versetzt dies die gesamte Branche in Unruhe.

Nach einer ersten Entlassungswelle, die 300 Angestellte betraf, kam es auch im oberen Management zu Personalrochaden. Anfang November wurde der CEO-Posten abgeschafft und Richard Lepeu per März in Pension geschickt. Ende Juli 2017soll CFO Gery Saage seinen Posten verlassen. Der bisherige IWC-Chef Georges Kern soll als Verantwortlicher des Bereichs „Watchmaking, Marketing and Digital“ das Ruder in dieser Sparte herumreißen. Dabei ist rasches Handeln gefragt. Im ersten Halbjahr war der Betriebsgewinn des Konzerns um 43 Prozent auf 798 Millionen Euro gesunken, das Nettoergebnis ging um die Hälfte auf 540 Millionen Euro zurück und der Umsatz fiel um 13 Prozent auf rund 5,1 Milliarden Euro.

Die Abwärtsspirale dreht sich

Von der Negativentwicklung ist die gesamte Branche betroffen. Nach dem großen Boom der letzten Jahrzehnte, in denen die Exportzahlen monatlich stiegen, gehen die Verkaufszahlen seit mehr als einem Jahr kontinuierlich zurück und stürzen die erfolgsverwöhnte Branche in die Krise. Für das vierte Quartal 2016 hatten Experten eine Erholung der Exportzahlen von Schweizer Uhren erwartet, doch das Gegenteil war der Fall. Wie der Verband der Schweizer Uhrenindustrie (FHS) bekanntgab, musste die Branche im Oktober ihren stärksten Rückgang des Jahres 2016 hinnehmen. Gegenüber Oktober 2015 betrug der Rückgang 16,4 Prozent. Branchenkenner sprechen bereits von dem größten Brancheneinbruch seit der großen Quarzkrise der 1970er Jahre. Damals hatte man den Trend zu automatischen Uhren verschlafen und sah sich der schier übermäßiger Konkurrenz aus Asien machtlos ausgeliefert.

Auch heute bringen Trends und Märkte in Fernost die Branche in Bedrängnis. Dementsprechend tief sitzt die Angst vor Jobverlusten im Vallé de Jaux, dem Zentrum der Luxusuhrenproduktion. Ganze Regionen leben in der Schweiz von der Uhrenbranche, die den drittgrößten Exportzweig des Landes bildet. Verlieren die Leute hier ihre Jobs, sinkt die allgemeine Kaufkraft und dies macht sich rasch auch in anderen Branchen bemerkbar.

Starke Abhängigkeit von Exporten nach China

Die steigende Nachfrage nach Luxusgütern in den Schwellenländern sorgte seit der Jahrtausendwende bei Schweizer Uhrenherstellern für stetig wachsende Umsatzzahlen. Nun zeigt sich die Kehrseite der starken Abhängigkeit von diesen Märkten, besonders bei den Zugpferden China und Hongkong. In China ist dies einerseits bedingt durch die Abschwächung des Wirtschaftswachstums, aber auch durch die chinesische Antikorruptionskampagne, die zu einer geringeren Nachfrage nach Uhren, einst ein beliebtes Bestechungsinstrument, führte. Zudem wurde in China die Importsteuer auf verschiedene Güter angehoben, um dem starken Import entgegenzuwirken, besonders bei Uhren. Hier wurde der Einfuhrzoll von 30 auf 60 Prozent erhöht. Und das, obwohl erschwerte Visabestimmungen sowie die Terroranschläge auf Paris und Brüssel die Reiselust der Chinesen gedämpft haben, wodurch diese nun auch in Europa weniger Geld für Luxusgüter ausgeben. Die Exporte in den wichtigen Markt Hongkong sind wiederum seit Monaten durch den starken Dollar im zweistelligen Prozentbereich rückläufig.

Smart und chic

Die Krisen der Schweizer Uhrenbranche ist aber nicht nur durch wirtschaftliche und geopolitische Faktoren bedingt, sondern hat auch hausgemachte Ursachen, die in den Bereichen Produktion und Innovation angesiedelt sind.

Markenmodelle nur minimal zu modifizieren und immer teurer zu machen, reicht nicht aus, um Kunden, die Innovationen suchen, zu gewinnen. Dass es auch anders geht hat Apple bewiesen. Das Unternehmen aus Cupertino hat sich mit seiner smarten Apple Watch quasi über Nacht als großer Uhrenhersteller etabliert. Laut einer von Heise zitierten Studie der Bostoner Marktforschungsfirma Strategy Analytics übertrafen die Smartwatch-Verkäufe im Weihnachtsgeschäft 2015 zum ersten Mal die Ausfuhren der Schweizer Uhrenhersteller.

Demnächst dürfte Apple den höchsten Umsatz in der Uhrenbranche erwirtschaften und könnte Rolex noch dieses Jahr beim Umsatz einholen, wie NZZ festhält. Damit bringt der Smartwatch-Hersteller vor allem Uhren im unteren und mittleren Preissegment in Bedrängnis. Trotzdem verwehren sich die meisten Uhrenhersteller dem Smartwatch-Trend bislang. TAG Heuer hat mit seinem Modell Connected als einer der ersten den Sprung in den smarten Geschäftszweig gewagt und wurde mit Erfolg belohnt. Rechnete man anfangs mit einem jährlichen Absatz von 20.000 Stück, ist die Nachfrage mittlerweile so groß, dass im kommenden Jahr wöchentlich bis zu 40.000 Stück produziert werden sollen.

Notbremse ziehen

Derartige Erfolgsgeschichten sind in Zeiten der Krise rar. Stattdessen sehen sich andere Hersteller gezwungen, Mitarbeiter zu entlassen und die Produktion zu drosseln, um weitere Überkapazitäten sowie volle Lager bei Produzenten und Händlern zu leeren. Richemont kaufte beispielsweise in Hongkong Lagerbestände zurück und tauschte schwer verkäufliche Modelle gegen gefragtere. Die zurückgenommenen Uhren wurden verschifft oder sogar eingeschmolzen.

Anders begegnet man der Krise in der Swatchgroup. Trotz eines Umsatzrückgang von 52 Prozent im ersten Halbjahr 2016 weigerte man sich bislang Bestände der Händler zurückzukaufen oder Mitarbeiter zu entlassen. Letzteres hatte sich bei der Swatchgroup bereits beim letzten Nachfrageeinbruch bewährt, denn sobald damals der Aufschwung eingesetzt hatte, konnte man schneller wieder voll ins Geschäft einsteigen.

Wege aus der Krise

Bleibt die Frage, wie die Branche die Krise schnellstmöglich überwinden kann. Hierbei kann es sich als nützlich erweisen, Lehren aus der Quarzkrise der 1970er Jahre zu ziehen, in dem man Trends rechtzeitig erkennt und sich in Nischen aller Preissegmente richtig und zeitgerecht platziert. Branchenexperten raten dazu, statt in aufwendiges Marketing wieder mehr in die Ausbildung der Uhrmacher, Forschung und Innovation zu investieren. Damit könnte man zum einen digitalen Trends wie Smartwatches, aber auch der steigenden Bedeutung des Onlinehandels (beides spielt vor allem im unteren und mittleren Preissegment eine wichtige Rolle) gerecht werden. Zum anderen liegen Wachstumschancen in neuen Märkten. Der Tagesanzeiger nennt hier Südafrika, Indien, Indonesien, Vietnam und die Philippinen als Länder mit wachsender Bedeutung.

Wie auch immer sich Unternehmen aufstellen werden, Hoffnung gibt, dass sich die Branche in der Vergangenheit immer wieder erholt hat. Denn so wie kein Boom ewig hält, so nehmen auch Krisenzeiten ein Ende. Ob die aktuelle Lage zu einer dramatischen Marktbereinigung führen wird und wann eine Normalisierung des Marktes einsetzen wird, wird davon abhängig, wie schnell die Konzerne auf die veränderten Rahmenbedingungen reagieren.

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